… das Corps der Bürgersöhne
Wer im Zusammenhang mit dem Freischießen von “Junggesellen” spricht, meint eine Korporation. Und wenn das Corps der Bürgersöhne in Erscheinung tritt, ist eben diese Gemeinschaft gemeint. Beide Bezeichnungen sind historisch belegt.
Junggesellen oder Bürgersöhne; in jedem Fall ist eine Korporation gemeint, die oft als das Salz in der Suppe des Freischießens bezeichnet wird. Das ist irreführend; denn Freischießen ist ein Hauptgericht, keine Suppe, und wenn schon die Korporationen mit Gewürzen verglichen werden sollten, dann wären die Junggesellen eher Pfeffer oder Paprika des Peiner Freischießens. Die Muntermacher also, stets für Überraschungen gut, aber andererseits auch stolz auf ein historisch fundiertes Renommee.
Urkundlich belegt ist die “Junggesellen-Kompagnie” seit dem 12 Juni 1814, doch bereits seit 1770 hatten laut Abrechnung im Schafferbuch rund 35 junge und neue Bürger mitgeschossen.
Von 1814 an, soviel steht fest, konnte jeder unverheiratete Bürgersohn Mitglied der Korporation werden, sofern er das 17. Lebensjahr erreicht, aus der Lehre getreten und unbescholtenen Rufes war.
Bei den Auszügen trug man Frack, weißes oder schwarzes Beinkleid, runden Hut und eine weiße, seidene Binde um den linken Ärmel. Gemäß Statuten, die die Stadt am 30.05.1888 bestätigte, durfte statt Frack auch der damals gebräuchliche Gehrock getragen werden. Wie es heißt, hatten in den vorangegangenen Jahren viele Erstteilnehmer “die Rockzipfel nach hinten umgenäht, um so ein dem Frack ähnlichen Kleidungsstück herzustellen.” Bis zum heutigen tage blieb es bei diesem Anzug, bestehend aus Gehrock, weißer Hose, Zylinder und weißer Seidenbinde. Das Festkleid der Junggesellen hebt sich von den Uniformen der übrigen Freischießen Korporationen deutlich ab. Es spricht für das gesunde Selbstbewusstsein der Korporation der Unverheirateten; und es ist durchaus denkbar, dass die Bürgersöhne als Vereinigung schon viel früher existiert haben als dies urkundlich nachweisbar ist.
Die Schützengilde von 1597 wird seit Ihrer Gründung an einer -quasi- Nachwuchsorganisation interessiert gewesen sein. Andererseits dürften die jungen Männer Peines vom Wunsch beseelt gewesen sein, sich im Zusammenhang mit dem Freischießen eigenständig zu organisieren.
Es würde den Rahmen dieses kurzen Abrisses der Corps-Geschichte sprengen, auf die Ursprünge der Korporation näher einzugehen, denn sie verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Belegt ist dagegen, dass die Junggesellen1834 erstmals neben der Königswürde eine bleibende Königsscheibe vergaben. Aus dem Jahr 1839 liegt eine Aufstellung der im Zusammenhang mit dem Freischießen entstandenen Kosten vor. Gezahlt wurde für “Sappeurs, Tambourmajor, Tambours, Musik, Tanzmusik, Zehrkosten auf dem Schützenhaus für Sappeurs und Tambours, Bärenkappen und Pechfackeln.”
Von 1845 stammt ein neues Reglement über Freischießen sowie eine Zelt-, Tanz- und Schießordnung. Bei der Versammlung im Juni werden bei den Junggesellen durch Wahl acht Offiziere bestellt. Vom Rat konstituiert, ziehen aus: “Eine Kompanie unverheiratete Bürgersöhne, eine Kompanie Schützengilde, und sechs Kompanien Bürger.”
Erwähnenswert ist ferner, dass in einem Antrag aus dem Jahre 1862 erstmals die Bezeichnung “Corps der Bürgersöhne” auftaucht.
1857 nahmen 70 junge Peiner als “Junggesellen-Kompagnie” teil. Die Korporation hatte sich bald etabliert. Sie plante, ein festes “Zelt”, also einen Saalbau zu errichten, und bat 1850, dies auf dem “Schützenplan” tun zu dürfen. Es wird Ihr ein Platz von 42 Fuß Breite und 60 Fuß Länge (13*20 m) angewiesen, der im Eigentum der Stadt Peine bleibt. Die Junggesellen zahlen jährlich drei Taler Pacht. 15 Jahre später wurde ein Anbau vorgenommen. 1872 ein weiterer, und den genehmigte die Stadt nur unter der Auflage, das Zelt sei dem Rat bei Bedarf unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
Durch eine polizeiliche Anordnung von 1899 ist überliefert, dass das “Zelt” bei Aufstellung von Stühlen, Bänken und Tischen im Saal 195 und auf der Galerie 185 Personen Platz bot. Auch über Befestigung und Anzahl von Öllampen gab es genaue Vorschriften. Die Laternen durften ausschließlich mit Pflanzenöl befüllt werden. Um die Jahrhundertwende fanden im Haus der
Junggesellen öffentliche Theateraufführungen statt, die entsprechende Bühne war beim Anbau 1872 mit eingebaut worden. 1903 wird dann der Beschluss gefasst eine Passive Abteilung aufzustellen. Sie schossen 1929 erstmals einen eigenen König aus. Doch schon im 19. Jahrhundert waren einige Verheiratete als zahlende Mitglieder dem Corps verbunden geblieben.
1914 dann das 100-jährige Bestehen. Ausnahmsweise durfte das Corps den sonntäglichen Freischießen-Festumzug anführen, gefolgt von Schützengilde, Neuen Bürger Corps, dem Walzwerker Verein, dem Arbeiter Bildung Verein und dem Bürger Jäger Corps. Die Bürgertöchter Peines hatten zum festlichen Anlass eine Fahne gestickt und dem Corps gestiftet.
Nach dem ersten Weltkrieg erlebte das Corps einen beachtlichen Aufschwung. Mehr als 120 Aktive marschierten beim Freischießen aus, doch im Inflationsjahr 1929 waren es nur noch 30. Sie waren dankbar, dass die Passiven mitmachten und dem Corps zu einem ansehnlichen Erscheinungsbild verhalfen. Die Jugend ließ sich jedoch das Recht, das Collegium zu besetzen, nicht nehmen. Der Vorstand der Passiven hat nach wie vor lediglich die Aufgabe, beratend bei wichtigen Entschlüssen mitzuwirken.
In einer Festschrift artikulierten die passiven Mitglieder des Corps der Bürgersöhne Ihr Anliegen so: “Das aktive Corps möge stets Männer in seiner Führung finden, die das Beste des Corps wollen und ausführen können, die es verstehen, unter veränderten Umständen die Traditionen hochzuhalten und das Corps nach innen und außen so zu vertreten, dass es die Achtung und Beliebtheit der Peiner Bürgerschaft behält.”
Unmittelbar nach dem ersten Freischießen der Nachkriegszeit (1949) gründeten sieben Junggesellen den Schießclub “Horrido”, der seither den Kleinen König Jahr für Jahr ausschießt. Der Club wurde 1950 dem Corps angegliedert und heißt seither “Schießabteilung des Corps der Bürgersöhne”. Es handelt sich hierbei – und bei allen anderen Korporationen ist das ebenso – um eine rein sportliche orientierte Gruppe. Und auch die so finster aussehenden Sappeure (“Bärenjungen”, “Torfbäkker”) sind im Grunde Ihres Herzens friedliche Gesellen. Mit hohen Fellmützen und künstlichen Bärten ziehen sie aus und verkörpern ein Stück Stadtgeschichte. Es ist anzunehmen, dass während des 30-jährigen Krieges auch Knaben zur Verteidigung der Stadt herangezogen wurden. Die furchteinflössende Verkleidung könnte bezweckt haben, die jungen Leute älter und gefährlicher erscheinen zu lassen, als sie dies in Wahrheit waren. Möglich auch, das sie sich selber auf alt trimmten, um mitmachen zu dürfen.
Bärenjungen sind außerdem mit Äxten ausgestattet. Das gibt im Zusammenhang mit der Bezeichnung “Sappeure” Sinn, die soviel bedeutet wie “Pionier”. Mag sein, dass männliche Jugendliche in frühen Zeiten tatsächlich als solche eingesetzt worden sind, die Äxte könnten aber auch dazu verwendet worden sein, den Freischießen-Umzügen freie Bahn zu verschaffen, wenn Gegner des Festes Barrikaden errichtet hatten.
Besonders stolz sind die Junggesellen auf Ihr eigenes Haus. Sie nennen das auf dem Schützenplatz stehende Gebäude ihre “Heiligen Hallen” und investieren viel Geld und vor allem Arbeitskraft in das “Junggesellenzelt”, wie es traditionell genannt wird. Als nach dem 2. Weltkrieg 1949 wieder Freischießen gefeiert werden durfte, stand das Zelt noch nicht wieder zur Verfügung. Es diente von den Kriegsjahren bis 1950 als Notquartier, beherbergte unter anderem Abteilungen der Peiner Post (Feldpost) beziehungsweise das Lager einer Glasgroßhandlung.
1951 begannen die Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten, es entstand die Gruppe “Wir von der Asche”. Im notdürftig wieder hergerichteten Haus feierte das Corps 1951 Freischießen. Hauptmann Hermann Rademann ritt zu Pferde in den Saal ein. 1960 erfolgte ein zweiter Abschnitt, 1964 eine weitere Umgestaltung, 1978 wurden Toiletten und Garderobenräume angebaut und 1982 nahm man die Fassadenerneuerung in Angriff. Dabei wurde der Torbalken des Scheuneneinfahrt des Hofes Gierein Eixe zur Gestaltung der östlichen Gebäudefront als Scheintor verwendet; wieder eine traditions- und denkmalpflegende Maßnahme. Der Balken hatte sich als Geschenk in den musealen Sammlungen des Landkreises befunden und erhielt nun einen Platz wo viele Passanten ihn seither betrachten können.
Acht Jahre später wurde das Dach erneuert, und 1991 erfolgte der Anschluss des “Zeltes” an die Fernheizung. Seither verfügt das Corps über ein Festhaus, das allen Ansprüchen genügt und auf das die Mitglieder berechtigtermaßen stolz sind.
Die Junggesellen halten auf Tradition, aber sie halten auch Verbesserungsvorschlägen nicht hintern dem Berg. So spendierten Sie 1961 beim Sektempfang im Kreishaus “kalte Platten”, damit die Eingeladenen ihren Hunger stillen konnten. Daraus entstand ein bereits traditionelles “Sektfrühstück”, nur das heute die Küche des Krankenhauses für Essbares zu sorgen hat, weil der Gastgeber den Wink mit dem Zaunpfahl verstand.
Auch die Abstellung des 1. und 2. Leutnants beim Eintrag der Könige in das Goldene Buch der Stadt Peine zum Schutze eben selbiges, ist auf die Junggesellen zurückzuführen, da Sie in den 1990er Jahren nicht nur einmal das Goldene Buch zum Schutze vor Entwendungen an einen sicheren Ort verbrachten. Von dort konnte der Bürgermeister das Buch nur gegen einen “Finderlohn” auslösen.
Details am Rande, aber doch Beispiel dafür, dass das Corps der Bürgersöhne in der Lage ist, Traditionen zu achten und sie zugleich jung zu erhalten: Der Wahlspruch der Korporation ist das Goethe Wort:
“Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es um es zu besitzen.”
Dies beherzigen die Junggesellen. Bei Goethe heißt es weiter:
“Was man nicht nutzt ist eine schwere Last.”
Auch danach halten sich die Bürgersöhne. Solange das Corps danach handelt, braucht niemand um die Existenz des Peiner Freischießens zu fürchten. Es hält alte Tradition lebendig, nutzt die Möglichkeiten des geselligen Zusammenseins und führt die Jugend von Generation zu Generation an das Peiner Freischießen heran, beziehungsweise direkt in das Fest hinein.